ഒരു ലെസ്ബിയൻ പശു (2003)

Ein Bündel Sonnenstrahlen stahl sich wie Rauch durch den Ventilator ins Badezimmer. Wenn sie sich wusch, drehte und wand sich Mehrunnisa gerne wie ein kleines Kind. Der Lichtstrahl weckte lhre Neugler, denn er paßte sich jeder ihrer Bewegungen an wie eine Nabelschnur.

Manchmal lag er wie eine leuchtende Unterwasserflöte im kalten Wasser des orangefarbenen Eimers. Oder er hinterließ einen glitzernden Ring auf den kaputten Wandkacheln.

Mehrunnisa gelang es, dann und wann den Lichtstrahl auf der Handfläche einzufangen. Oder sie konnte ihn bis in die tropfenden Spitzen ihres nassen Haares tanzen lassen. Dabei beobachtete sie die unzähligen Staubteilchen im Sonnenlicht. Deshalb dauerte es auch immer so lang, bis Mehrunnisa im Bad fertig war.

An jenem Tag hatte es Mehrunnisa furchtbar eilig, sich zu waschen. Den Sonnenstrahl hatte sie ganz vergessen. Gerade wollte sie den letzten Schöpfer Wasser aus dem Eimer holen, als sie merkte, daß heute kein durchscheinender Finger aus Sonnenlicht auf dem Wasser lag.

Verwundert hob sie den Kopf und schaute zum Ventilator. Mit einem Aufschrei riß sie ihre Kleider an sich. Zwei Augen sahen sie seelenruhig an. Dann wandte sich das Gesicht draußen langsam ab.

Mehrunnisa zog sich an und verließ am ganzen Leib zitternd das Bad. Das war sie gewesen, die lesbische Kuh!

Mehrunnisa war gerade beim Waschen, als Mehmud Khan sie mit seinem Moped in ihrem gemieteten Häuschen besuchen kam. Erstaunt stellte er fest, wie sehr sich seine Tochter in den drei Jahren verändert hatte. Sie war nun eine erwachsene Frau, von dem kleinen Mädchen hatte die Zeit nichts übriggelassen.

Ihre ältere Schwester Id war im Gegensatz zu ihr mit zunehmendem Alter immer infantiler geworden; sie stellte ständig Unfug an, schwatzte dummes Zeug daher und spielte Mehmud Khan einen Streich nach dem anderen.

Auch nach zehn Jahren Ehe waren bei Id keinerlei Anzeichen einer Schwangerschaft zu erkennen. Wie bei den Ravuttars üblich, lebte auch Id Kamals Ehemann in der Familie von Mehmud Khans Frau. Man munkelte, Raftasjunish habe sich nur wegen dieses für ihn äußerst bequemen Arrangements nicht schon längst von seiner Frau getrennt, während in Wahrheit die Liebe sie zusammenschweißte wie Fieber und Hitze. Mehmud Khan jedoch empfand die Kinderlosigkeit seiner Tochter als Schande für die ganze Familie.

Doch aller Ärger war schnell verraucht, als er drei Jahre, nachdem Mehrunnisa mit ihrem Liebhaber durchgebrannt war, die frohe Botschaft vernahm, sie séi schwanger geworden.

Mehrunnisa hatte ihn erst wahrgenommen, als sie die ausgewrungenen Kleider über die Schulter warf und sich zur Seite drehte. Der kalte Schweiß brach ihr aus. Im ersten Moment dachte sie, es wäre die lesbische Kuh, die immer wieder hinten durch die Offnung in der Mauer kam. Die war ziemlich frech geworden, seit alle mitbekommen hatten, daß Shrihari Venkatesh ständig auf Reisen ging.

Mehrunnisa war verwirrt. Gut einsachtzig groß, stand er wie eine Statue neben seinem Moped. Sie ließ den hochgesteckten Sari herunter. Es kam ihr wie ein Tagtraum vor, daß Papa nach drei Jahren wieder vor ihr stand und sie anlächelte. Mehrunnisa lächelte zurück. Sie strahlte ihn mit ihren braunen Augen an, ihre Wimpern zitterten.

Mehmud Khan war maßlos enttäuscht. Wie sehr hatte er sich nach Mehrunnisas Tränen gesehnt, kein anderes Mädchen konnte so wunderbar weinen.

Aber Mehrunnisa hatte ihren Papa mit einem Lächeln willkommen geheißen.Sie sah ihn die Stufen zu dem Häuschen hinaufgehen und auf das Glücks-Kolam treten, das Shrihari Venkatesh vor drei Tagen gemalt hatte. Nach den drei Jahren tat sie ihrem Vater zuliebe ganz angriffslustig: »Paß gefälligst auf, Papa!«

Beim Suleimanitee, der viel zu sauer geraten war, verzog Papa das Gesicht. Ein Ravuttar-Mädchen, das nicht einmal eine gute Tasse Zitronentee zubereiten könne, sei nichts wert, egal was sie sonst im Leben erreicht habe. Worauf sie losheulte.

»Ist er Maler?« Mehmud Khan sah auf das Kolam, auf das Mehrunnişas Tränen getropft waren. »Nein.« »Wie heißt er?« »Shrihari Venkatesh Paí.« »Wann kommt er nach Hause?« »Gegen Abend.« Mehmud Khan nickte ernst. »Irgendwelche Photos von ihm?« »Nein.« »Euer Hochzeitsalbum?« Mehrunnisa ließ vor Unbehagen die Fingergelenke knacken. »Wir sind nicht verheiratet.« Mehmud Khan nickte wieder, als ob das die gewöhnlichste Sache der Welt wäre. »Bist du Hindu geworden?« »Nein.«

Mehrunnisa sah, wie Mehmud Khans Gesicht vor Zorn dunkelrot anlief. Der graue Bart schlug energisch gegen seinen Mantel.

»Wenigstens das hattest du tun können, Hindu werden. Das wäre immer noch besser gewesen als sonst. Er stellte die Tasse auf die Brüstung. »lch hatte nicht gedacht, daß du so verkommen Jebst « Er hohrte die Spitzen seiner Schuhe ins Kolam. Es roch intensiv nach Waschestärke. »Es gibt auch so etwas wie Stolz, Mehru « Er warf das Moped an.

Mehirunnisa war wie vor den Kopf geschlagen. Versteinert stand sie da wie im Traum.

Im Schein der nie schlafenden, niemals die Augen schließenden, fluoreszierenden Glühbirne vor dem Haus sah Shrihari sofort, daß sein Kolam völlig verwischt war. Die Fußabdrücke in den zuckerfeinen Körnchen erschienen ihm wie ein Zeichen des Bösen.

Obwohl er nach der langen Reise hundemüde war, ging er in die Küche und machte sich einen Tee. Die beiden hielten sich grundsätzlich an die Regeln des Zusammenlebens, die sie zu Beginn ausgemacht hatten. Selbst gegenseitige Gefälligkeiten hatten immer etwas Ernsthaftes, Förmliches. Während er seinen Tee trank, beschloß Shrihari, Mehrunnisa zu fragen. Denn er glaubte an die Macht von Zeichen. Als er nach Hause kam, hatte er die Spuren von drei Personen gesehen.

»Hattest du Gäste?« »Papa war da.« »Papa!« Shrihari fühlte sich unbehaglich. Mehrunnisas Papa war der reichste Edelsteinhändler der Stadt. Bestimmt hatte er das schäbige, gemietete Hāuschen, in dem seine Tochter wohnte, voller Hohn betrachtet.

Aber nicht nur vor ihm schāmte sich Shrihari. Auch eine seiner Tanten kam hin und wieder vorbei. Sie mochte Mehrunnisa, die einen, Diamanten im rechten Nasenflügel trug, groß und wohlproportioniert war und dabei zart wie eine weiße Wasserlilie. Nicht einmal mit ihrer Religion hatte die Tante ein Problem. Ständig fand sie einen neuen Grund, weshalb sie Mehrunnisa gern hatte. Einer davon war ihre Sprache, das Konkani, das Mehrunnisa besser als jede Gowda-Saraswat-Brahmanin beherrschte. Ein Konkani so lieblich wie Vogelgezwitscher, mit einem leichten Lispeln.

Trotzdem fürchtete und ekelte sie sich vor dem Häuschen mit seinen termitenzerfressenen Türen und dem von Ratten und Spinnen bevölkerten Dach. Ständig regte sie sich darüber auf und machte sich entsetzliche Sorgen.

Er fragte sie nicht nach Papa. Sie hielten sich, ohne dies je eigens vereinbart zu haben, normalerweise an die üblichen Grenzen für Gespräche zwischen Eheleuten.

Noch bevor Shrihari weitere Fragen stellen konnte, erzählte ihm Mehrunnisa ihren Schneckentraum. »Gestern morgen, es muß gegen zehn gewesen sein, habe ich von Schnecken geträumt, Schnecken ohne Haus. Ich sah die zähe Körperflüssigkeit, die sie ins Wasser schleimten, und die vielen, in der Flussigkeit treibenden Schneckeneier. Die Schnecken stülpten ihre fleischigen Körper im Wasser aus und laichten ab. Eine von ihnen ließ ständig weißen Schaum voll fruchtbarer Eier ins Wasser quellen, den die Strömung nicht so leicht davontragen konnte. Ich nahm eine Blumenvase aus glänzendem chinesischem Porzellan, stellte sie auf die Böschung, beobachtete neugierig die Schnecken beim Laichen und sammelte die Eier mit dem Blatt eines Jackfruchtbaums wie mit einem Löffel in die Vase. Dann sah ich zarte Reisschößlinge, die sich im Wasser bewegten, wie die Fangarme von grünen Kraken. Als Papa rief, ich solle nach Hause kommen, trat ich aus Versehen auf die Schnecken, die über die schmale Böschung zwischen den Reisfeldern krochen. Das scheußliche Knirschen versetzte mir einen Stich.

Shrihari kratzte sich verwundert am Kopf. Es war das erstemal, seit sie zusammen lebten, dass Mehrunnisa einen Traum wie ein reales Erlebnis schilderte. Glaub bloß nieht, das war ein ganz normaler Traum, so wie im Schlaf.“ Was denn sonst, Mahru – ein Tagtraum ?

Nein. Es muß vorgestern gowesen sein, Ich habe mich unwohl gofühlt, Später habe ich mich übergeben. Gestern Vormittag begriff ich dann, was das bedeutet. Es kam nur noch gelbe Galle, als ob main Körper nichts anderes mehr hochwürgen könnte. Ich ging zum Brunnen, um mir das Gesicht zu waschen, dabei zertrat ich drei Schnecken. Im selben Moment drückte die Kuh sich von hinten an mich und Ich verlor das Bewußtsein. Wahrend ich ohnmächtig war, hatte ich diesen Traum.«

»Mehrunnisal« jauchzte Shrihari auf. Er konnte seine Freude kaum verbergen und küßte sie innig auf Stirn und Augen. Mehrunnisa lag auf dem Bett, Ihre Augen leuchteten im Dunkeln wie die Ziffern einer lebenden Digitaluhr.

Shrihari freute sich so, als wäre er wieder in der Uhrmacherei seines Vaters Venkatesh Pai, der sein Leben lang durch ein Vergrößerungsglas Zeiger und winzige Zahnrädchen von Uhren studiert hatte. Oft hatte sich Shrihari in den scharfen Augen seines Vaters Uhrzeiger vorgestellt. Dessen ständig kreisende Pupillen glichen tatsächlich einer Uhr.

Pai hatte in der Gowda-Saraswat-Brahmin-Straße in Andhra Pradesh einen Uhrenturm mit der Inschrift >Gestiftet von Pais Uhrmacherei« errichten lassen. Die Riesenuhr hatte niemals die falsche Stunde angezeigt oder geschlagen, bis sie eines schönen Morgens plötzlich stehenblieb und mit einem fürchterlichen letzten Glockenschlag zu Boden stürzte.

Zur selben Zeit lag Venkatesh Pai in >Pais Uhrmacherei< in seinem Stuhl und streckte alle Glieder von sich, wie eine stehengebliebene Uhr. Ein Vergrößerungsglas saß noch auf dem rechten Auge. Außer dem Ticken der eben reparierten Taschenuhr hörte man keinen Laut.

Die Dorfbewohner waren empört über die >eheähnliche Gemeinschafte von Venkatesh und Mehrunnisa. Sie zerbrachen sich den Kopf, ob Angehörige verschiedener Religionen, obendrein noch ohne Trauschein, zusammenleben durften. Mehrunnisa und Shrihari hatten lediglich bekanntgegeben, daß sie von nun an miteinander leben wollten, hatten sich ein Häuschen gemietet und waren direkt vom Krankenhaus aus darin eingezogen.

Mehrunnisa war sechzehn, als sie Shrihari Venkatesh beim Beschwerdeausschuß im ayurvedischen Krankenhaus kennenlernte. Er war nicht nur Beamter vom Sozialamt, sondern sah auch blendend aus. Auf seinen glattrasierten Wangen lag ein bläulicher Schimmer; feine, blaugrüne Äderchen schimmerten unter der Haut seines Gesichts, das fast immner glänzte, weil er sich zu viel Öl ins Haar schmierte.

Der Fall war schwierig. Als Mehrunnisa ihn anlächelte und dabei die Oberlippe hochzog, war er von ihren kleinen, wohlgeformten Zähnen und ihrem rosigen Zahnfleisch hingerissen. Damals war er sechsunddreißig.

Die beschuldigte Krankenschwester starrte ihn an wie eine angreifende Kuh. Sie mochte nicht, wie er Mehrunnisa ansah.

Mehrunnisa war wegen einer Lähmung ins Krankenhaus gekommen. Selbst die härteste Behandlung ließ sie geduldig über sich ergehen. »Seitdem die beschuldigte Krankenschwester damit beauftragt war, sich um mich zu kümmern und mich mit den Füßen zu massieren, hat sie es genossen, meinen Körper fast ununterbrochen zu malträtieren.« So in etwa lautete ein Satz in etwas lautete ein Satz in Mehrunnisas Beschwerdenchrethen, das Shrihari zu lason hekam. » Sie riecht wie eine Kuh. müssen sie wissen. Sie hat auch so ein Gesicht. Ihre Fußsohlen sind hart wie Hufe. Angeglotzt hat sie mich, die ganze Zeit. Können sie sich voratellen, wie sehr ich dieses Monstrum verabscheut habe?

Sobald die Beschuldigte das Wort verabschoute hörte, verhärteten sich ihre Gesichtszüge. Shrihari betrachtete sie Ihre Augen glichen einem Kriegsschiff aus alten Zeiten. Shrihari sah, wie ihr das Wasser in die Augen schoß, als ob sie hoch zur See Pistolenrauch und Kanonendonner ausgesetzt wären. Wie eine Pistolenkugel, eine Meereswoge oder ein geschmolzener Tropfon Glas hing eine Träne an ihrer Wange.

»Über meine Brust ist sie mit ihren Hufeisen getrampelt.« Mehrunnisa legte ihre Hände auf den Busen. »Ich habe von Anfang an gemerkt, daß da etwas nicht stimmt. Sie hat meine Tochter immer geküßt, wenn sie geschlafen hat. Meine Tochter ist doch krank, wie kann sich diese Frau bloß so benehmen?« gab Nihad Begam zu Protokoll.

»Mein Körper ließ sich dann immer formen wie feuchte Tonerde. Nach jeder dieser Massagen kam ich mir vor wie ein bratfertiges, in Öl eingelegtes Stück Menschenfleisch und versank in Halbschlaf. Jede von den Schwestern hat mich gewaschen. Und alle haben sie meinem kranken Körper Mitleid und Respekt entgegengebracht, wie es sich gehört. Alle bis auf diese ekelhafte Kuh.«

»Ich habe deinen Körper geliebt, Mehru!«, sagte die Schwester in einem Anflug von Leidenschaft. »Mit derselben Zärtlichkeit, mit der eine Kuh eine andere liebt. « Sogar Shrihari erbleichte bei diesen schamlosen Enthüllungen.

Sie hieß Nandini Gomatha, weil sie aus der Gomatha-Familie kam. Sie wurde drei Monate vom Dienst suspendiert und bekam für immer den Zutritt zu Mehrunnisas Station verboten. »Aber trotzdem kam sie ständig wieder klammheimlich in mein Zimmer geschlichen. Einmal bin ich davon aufgewacht, als sje mich gerade leidenschaftlich küßte.«

»Shrihari«, Mehrunnisa öffnete die Augen. »Die eklige Kuh hat mir sogar, wenn ich mich recht erinnere, einen Antrag gemacht.« Shrihari şetzte sich mit einem Stirnrunzeln auf. Sie also war die dritte gewesen.

Der Mond stand hell am Himmel und die Sterne funkelten, als Shrihari plötzlich aus dem Schlaf fuhr. Sie schliefen immer bei offenem Fenster. Sonst hatte er sich nie etwas dabei gedacht. Aber jetzt stellte er sich unwillkürlich vor, wie sich anf dem Gesicht der Dunkelheit Rinderohren und Bullaugen formten. Vor ihm schlug ein in Papier gewickelter Stein auf. Jemand verschwand im Dunkeln hinter der Mauer. Aus der Molkerei hörte man verzweifeltes Muhen. Auf dem Papier stand eine Nachricht gekritzelt: »Überlaß Mehrunnisa mir.«

Als am nächsten Tag Mehmud Khan, Nihad Begam, Id Kamal und Raftasjunish bei ihm vorbeischauten, war Shrihari Venkatesh so außer sich, daß er sie nicht einmal begrüßte.

»lch muß ein ernstes Wort mit dir reden.« Mehmud Khan nahm die Brille ab. Als Shrihari seine wässrigen, trüben Augen sah, erschrak er über das unbarmherzige Pendel fortschreitenden Alters, das ungleichmäßig in ihnen hin und her schwang. Mehmud Khan bedrängte ihn ohne Umschweife, Mehrunnisa zu heiraten, und versprach ihm eine anständigo Mitgift, Schmuck in guter Pathanen-Tradition, Grundbesitz sowie ein paar bewegliche Güter. Aber Shriharis Antwort flel nicht wie erwartet aus. Er erklärte frei heraus, solange er Feminist sei, könne er die Institution der Ehe unmöglich anerkennen. »Frauen brauchen viel mehr Freiheit. Mehrunnisa hat sie mehr als einmal verdient.«

Khan zappelte nervös herum und verbarg hinter seiner Hand eine Träne, die ihm wie ein langgezogener Zeiger die Wange herunterlief. Shrihari mußte an seinen Vater denken, der ihn gelehrt hatte: »In jedem menschlichen Organ steckt eine Uhr.« Er berührte Mehmud Khans Füße. »Papa, bitte vergib mir. Das ist eine grundsätzliche Entscheidung, die ich für mein Leben getroffen habe. Versteh das bitte nicht falsch.«

Unterdessen erkundigte sich Nihad Begam neugierig nach der lesbíschen Kuh. Seit sie in ihr Häuschen gezogen waren, hatte Mehrunnisa nicht einen Gedanken mehr an sie verschwendet. Weder die benachbarte Molkerei mit einem Areal von zwei Hektar, noch die großen Kühe, die durchs Tor kamen und Jas- minblüten abfraßen, hatten es geschafft, sie an Nandiní Gomatha zu erinnern. Aber seit kurzem kam zusammen mit den anderen Kühen auch die lesbische Kuh in den Garten und schielte, während sie sich über die Jasminblüten hermachte, gierig nach Mehrunnisa, die sich gerade wusch.

»Komm, laß uns heiraten.«, sagte sie immer wieder.

Nihad Begam machte sich Sorgen. Sie kannte natürlich die Geschichten von verzweifelten Liebhabern, die völlig durchgedreht verheirateten Frauen hinterherlaufen und sich, wo der Schatten der Geliebten hingefallen war, im Staub wälzen. Aber sie konnte sich beim besten Willen keinen Reim darauf machen, warum eine Frau einer anderen nachjagte und behauptete, sie zu lieben und zu begehren.

»Manchmal kann man abends şehen, wie sie unser Häuschen von ihrem Zimmer oben in der Molkerei aus beobachtet. Bevor ich nachts das Fenster zumache, sehe ich sie, ihre Haut, so rauh wie die einer Kuh, und ihr Gesicht, zerkoittert wie ungegerbtes Leder.« »Mehru, vielleicht ist sie ein Hexe...«

Mehrunnisa und Id wurden nervös. »Kein Grund zZur Aufregung, Mehrunnisa. Dein Papa und ich waren einmal für fünf Monate in einem Dorf. da gab es viele solche Leute. Die Dörfler nannten sie Panan. Man mied sie, weil sie Rindfleisch aßen. Kühe galten in dieşen Dörfern als heilig. Die Panans kümmerten sich um sie. Wenn eine Kuh an irgendeiner Krankheit eingegangen ist, schleiften sie den Kadaver in einer feierlichen Prozession zu ihren Hütten. Dort brieten sie das Fleisch und aßen es. Mit eigenen Augen habe ich gesehen, wie die Dörfler einen verprügelten, der nichts davon essen wollte.«

Mehrunnisa fühlte sich ganz schwach. »Ich glaube, daß diese Panans dadurch das Göttliche der Kuh auf sich übertragen. Sie sind Zauberer und Magier. Sie besitzen die wunderbare Gabe des Odi-Zaubers. Weißt du, jemand, der Odi kann, kann jede Gestalt annehmen. Dabei sind sie dann nackt. Meistens nehmen sie die Gestalt einer Kuh an. Und so kann sich der Gestaltenwandler höchstpersönlich an denen rächen, die ihm übel mitgespiclt haben. “

Mehrunnisa meinte, ihr müsse jeden Augenblick der Schädel platzen. Ein grauenhaftes Dröhnen erfüllte ihre Ohren. Das zornige Schnauhen einer Kuh. »Diese Zauberer verfolgen Frauen, die Ihnen gefallen, in Kuhgestalt. See rächen sich, sagt man, indem sie auf den Bäuchen schwangerer Frauen herumtrampeln.“

Mehrunnisa hätte gerne geglaubt, das diese Odl-Geschichte ein reines Märchen war, nichts als blinder Aberglaube. Aber sie fürchtete sich vor der lesbischen Kuh, die hartnäckig am eisernen Tor polterte, kaum daß Shrihari zur Arvbeit gegangen war. Hatte sie nicht auf dem Kopf zwei Auswüchse? Zwel große Beulen, verdeckt durch die Hörner?

An jenem Abend hatte Shrihari Milch gekauft; auf dem Heimweg vom Markt fühlte er sich dann plötzlich von Hufgetrappel verfolgt. Die lesbische Kuh! Shrihari besah sie sich genau. Sie trug ein Baumwollkleid, grob wie Kuhhaut. Die Enden ihres Schals schlackerten wie Kuhohren. Ihre hochhackigen Sandalen erinnerten an Hufeisen. Bullaugen. Und rosa Haut, zarter als frisch geschlagene Butter.

»Bitte überlaß mir Mehrunnisa. Gib sie auf. Eure Beziehung ist sowieso nicht legal, eine Trennung ist also ganz einfach. Sie ist nicht mal deine Ehefrau.«

»Pah!« Shrihari Venkatesh verlor die Geduld. »Laß Mehru in Ruhe! Sonst hole ich die Polizei!«

»Schau Shrihari, Wut nützt dir nichts. Hör mir gut zu. Ich habe größere Ansprüche auf sie als du. Ich habe ihre Brüste doppelt so oft berührt wie du. Ich weiß noch genau, wie jedes Atom ihres Körpers unter meinen Fingern zum Leben erwacht«, schloß sie ihren leidenschaftlichen Ausbruch.

»Hau ab!« schrie Shrihari Venkatesh sie an und stieß sie weg. Schlagartig änderte sich ihr Benehmen. Ihr Gesicht spiegelte nicht mehr Begierde, sondern nackte Wut. Das Blut schoß ihr heiß in den Kopf. Sie stank entsetzlich nach Schießpulver.

Fluchend rammte sie ihm den Schädel in die Brust und warf ihn zu Boden. Sie trat ihn hart mit ihren eisenbeschlagenen, langen Beinen, stieß ihm ihre Füße ins Gesicht und schrie wie eine Furie: »Ich bring dich um!«

Er lag da wie ein Stück Fleisch auf der nach Kuhpisse und Scheiße stinkenden Theke des Metzgers auf dem Markt. In diesem Moment beschloß Shrihari Venkatesh Mehrunnisa zu heiraten. Woraufhin die lesbische Kuh sich umdrehte und davonstürmte, Und Shrihari Venkatesh sah, daß ihr Zopf genauso dünn war wie ein Kuhschwanz.

Shrihari Venkatesh heiratete Mehrunnisa sowohl nach Hìnduritual als auch nach islamischem Recht. Am selben Tag riß die lesbische Kuh die Mauern der Molkerei nieder. Durch das kapute Tor brachen mehr als zweitausend Kühe über das Dorf herein...

Es ging das Gerücht um, die Kühe wären wegen Rinderwahnsinn freigelassen worden. Kopflos rannten die Dorfbewohner hin und her. Kinder gingen nicht mehr zur Schule. Das Dorf gab sich träge đen Waffenstillstandsfeiern hin. Ein paar junge Männer patroullierten mit dicken Knuppeln und an den Enden mit Nägeln beschlagenen Bambusstöcken durchs Dorf, um ihr Zuhause vor der schrecklichen Gefalr zu schützen.

Sie rotteten sich gegen die Kühe zusammen und gingen dann mit Steinen und Blechdosen auf sie los, bis sie tot waren.

Als müsse er elne Rechnung begleichen, heiratete Shrihari Mehrunnisa am selben Abend auch noch standesamtlich. Auf dem Heimweg stolperten sie über die überall herumliegenden Kadaver. Shrihari befürchtete Unruhen zwischen Hindus und Muslimen. Wie in einem von Krieg erschütterten Land befanden sich weder Leute noch Fahrzeuge auf der Straße. Mehr tot als lebendig schleppten sich verletzte Kühe mit eingeschlagenem Schädel durch die Straßen und muhten herzzerreißend. Mehrunnisa und Shrihari sahen einen Menschenauflauf westlich der Mol- kerei. Shrihari hielt an und eilte neugierig hinzu. Da lag die lesbische Kuh, niedergestreckt, mit dem Gesicht nach unten. Sie war nackt. Aus ihrer Brust perlte Blut über den mitternachtsschwarzen Asphalt, bis es langsam antrocknete.

Er glaubte, den intensiven Duft von Kuhmilch zu riechen. »Eine wahnsinnige Kuh hatte sie auf die Hörner genommen. Deshalb haben die Leute sie gesteinigt und mit Bambusstöcken zu Tode geprügelt.« Shrihari fühlte sich erleichtert. »Oh, sie ist tot.«, sagte er in einem Tonfall, als spräche er von einer Kuh. »Um wen gehts?«, wollte Mehrunnisa wissen. »Ach um niemand besonderen, die Leute haben eine verrückte Kuh erschlagen, das ist alles.« Shrihari knallte die Autotür zu.

Als am nächsten Morgen Mehrunnisa den Bericht »Hexe«- Molkereibesitzerin zu Tode gesteinigt« lesen wollte, hielt Shrihari sie davon ab. »He du, bring mir eine Tasse Kaffee!« Genüßlich lehnte er sich in seinem Sessel zurück und brüstete sich mit dem Stolz und der Selbstgefälligkeit, derer nur ein Ehemann fähig war.

Herzlichen Dank an die Autorin, Frau Indu B. Menon und die Übersetzerin Prof. Dr. Haike Oberlin, die uns freundlicherweise genehmigten, diese Kurzgeschichte hier zu veröffentlichen. Diese Übersetzung wurde in "die horen, Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik", 51. Jahrgang , Band 3. / 2006 Ausgabe 223. Herausgegeben von Johann P. Tammen. Redaktion Peter K. Kirchhof, Hansaallee 165, 40549 Düsseldorf. S. 113-120 veröffentlicht.