सज़ा

Vatis Brief ist gekommen. An Onkel: „Am 16. April wird das Urteil verkündet und diesmal wird es bestimmt gefällt, es wird nicht mehr verschoben, wie früher. Wenn du frei nehmen könntest und es dir keine großen Umstände macht, dann komm doch bitte für zwei Tage vorbei!“

Gar keine Zeile hat er über mich und Munnu geschrieben. Weder liebe Grüße, noch eine Bitte um einen Besuch. Im ganzen Jahr ist es sein erster Brief und er hat gar nichts über uns geschrieben, als ob er nicht wüsste, dass auch wir existierten. Hat sich der Vati so sehr verändert? Vielleicht er sich selbst nicht, sondern die Zeit hat ihn verändert. Nicht nur ihn, sondern uns alle hat sie verändert. Habe ich mich denn weniger verändert oder hat sich der Munnu weniger verändert? Keine Ahnung, was mit der Mutti los ist! Ach, was ist denn alles nicht in diesen fünf Jahren passiert?

16. April ist nach fünf Tagen. Ich werde gehen, bestimmt gehen. Und ich werde auch noch den Munnu mitnehmen. Onkel Kant hat nach jedem Verhör geschrieben, dass diesmal das Urteil zu unseren Gunsten fallen werde. Ach Gott, das mag auch geschehen! Aber nach jeder Weile bebt mein Herz. Auch beim ersten Mal haben alle eben dies gesagt. Damals war ich nicht so naiv, dennoch verstand ich nicht viel. Vati und Mutti haben mich immer für ein kleines Mädchen gehalten, vielleicht konnte ich deshalb nicht erwachsen werden. Aber wie erwachsen bin ich jetzt geworden! Nun kann ich auch rechtliche Probleme verstehen. Ich kann beide Mahlzeiten für sieben Leute zubereiten. Nicht nur das Essen, sondern ich kümmere mich nun um den ganzen Haushalt. Würde jemand von den anderen Mädchen verlangen, die mit mir in die Schule gehen, diese Arbeit zu verrichten? Aber warum würden sie all dies tun? Möge Gott sie nie in diese Lage versetzen.

Würde Vati wirklich freigesprochen werden? Als das letzte Mal das Urteil gefällt wurde, waren alle – Oma, Opa, Onkel usw. gekommen. Alle gingen zum Gericht, aber sie nahmen uns nicht mit. Sie durften Munnu zurücklassen, er war wirklich klein; aber ich war viel älter. Ich hatte auch die Klausuren der 9. Klasse geschrieben. Ich wusste alles über Vatis Fall, dennoch hatten sie mich nicht mitgenommen. Munnu und ich hatten atemlos gewartet, bis alle zurückkamen. Ich war selbst sehr nervös, aber ich hatte ständig den Munnu beruhigt. Niemand sonst hielt mich für älter, aber er tat es. Am Mittag kamen Oma und Mutti weinend zurück. Der Opa saß auf dem Stuhl, verbarg sein Gesicht mit den Händen und weinte fassungslos, „Ach Gott, so viel Finsternis in Deinem Reich! Zwei Jahre Haft für meinen unschuldigen Sohn!“ Weinend saßen wir alle, so haben wir auch viel geweint. Sie ließen Vati nicht nach Hause kommen. Vom Gericht brachten sie ihn ins Gefängnis.

Zwei Tage lang ging ich nicht in die Schule. Als ich ging, zeigten alle meiner Mitschülerinnen Mitleid mit mir. Aber das war gar kein Mitleid. Zeigt man überhaupt Mitleid mit jemandem und sagt, „Ach nein, der Vater dieser Armen ist ins Gefängnis gekommen!“ Sie flüsterten miteinander und sagten, „Stehlen auch solche großen Leute? Daher hatte Asha ein Luxusleben!“ Dazu wollte ich allen wütend sagen, dass der Vati nichts getan hat, es sei denn, dass seine Sterne derzeit ungünstig stehen. Was geschieht nicht alles, wenn Sterne ungünstig stehen? Auch Herr Ramchandra hatte nichts gestohlen, dennoch musste er vierzehn Jahre lang im Wald leben. Auch die Pandavas hatten nichts getan, trotzdem mussten sie ein verborgenes Leben führen, oder nicht? Wenn Sterne schlecht stehen, dann muss auch der König alles ertragen. Verstehen diese Mädchen nicht so eine Kleinigkeit? Mutti hat mir erklärt, dass wir momentan durch eine schwierige Zeit gehen, also sollten wir alles schweigend ertragen, was auf uns zukommt, und ich habe es verstanden. Deshalb sage ich nichts zu ihnen. Aber sie haben es gar nicht kapiert. Vielleicht gewinnt man gute Verstandeskraft nur in schwierigen Zeiten.

Naja, dann kam Onkel Kant. Sobald er aus England zurückkehrte, kam er direkt nach Hause. Er hatte sich viel über Opa und Onkel Umesh geärgert und gefragt, wie eigentlich alles geschah. Heutzutage zeigen auch die Schuldigen ein unschuldiges Gesicht, denn sie klauen Millionen und laufen den Schnurrbart zwirbelnd herum. Berge von Akten verschwinden durch sie. Und wir haben hier einen, der ohne etwas getan zu haben, im Gefängnis sitzt. Opa, ohne ein Verbrechen begangen zu haben, hörte alles schweigend an und ließ seinen Kopf hängen. Woher hätte er die Nuancen des Gesetzes gewusst? Immer wenn er unfähig war, weiter zuzuhören, fing er an zu weinen. In dem Moment gefiel mir das Verhalten von Onkel Kant gar nicht, aber niemand konnte ihm überhaupt etwas sagen. Er bemühte sich, um eine Begnadigung durch das oberste Gericht zu erreichen. Nach seiner Rückkehr aus England gab er viel an. Vielleicht hatte er auch viel Reichtum erworben.

Es gelang ihm auch, eine Begnadigung zu erreichen. Vati wurde nach fünfundzwanzig Tagen entlassen. Ich hatte gedacht, dass Munnu und ich ihn bei seiner Rückkehr fest umarmen würden. Vati würde uns sehr liebkosen. Die verdorbene Stimmung der letzten fünfundzwanzig Tage würde verfliegen. Unsere guten Tage würden zurückkommen. Niemand fragte nach uns, seitdem Vati weggegangen und die anderen hierhergekommen waren. Früher waren wir der Mittelpunkt. Das Essen wurde nach unserem Geschmack zubereitet, und alles ging nach unseren Wünschen. Plötzlich waren wir nichts. Ich verstand einiges, aber der Munnu wollte gar nicht verstehen und verlangte eigensinnig danach, was er wollte. Ich erklärte ihm: „Bruder, unsere Sterne stehen derzeit ungünstig, sei also bitte nicht eigensinnig.“ Aber er verstand nichts von den Sternen und weinte ständig. Ich hatte gedacht, wenn Vati kommen würde, der unsere Tränen wischt und alle Wünsche erfüllt, würden alle unsere Probleme beseitigt sein.

Aber eben das ist nicht geschehen. Vati kam mit Onkel Kant mit dem Pferdewagen. Alle standen am Eingang. Vati stieg aus. Er sah niemandem in die Augen, sprach niemand an. Er ging schweigend und mit gesenkten Augen nach oben. Alle waren schockiert. Wie ist Vati denn geworden! Niemand wagte, nach oben zu gehen. Am Ende schickte Oma die Mutti, aber sie kam fast sofort zurück, „Er öffnet die Tür nicht. Nachdem ich mehrere Male klopfte, hat er gesagt – Geh weg, stör mich jetzt nicht!“

Obwohl ich täglich mit den Familienmitgliedern geweint hatte, weinte an dem Tag zum ersten Mal mein Herz. Es hat mit bestem Verstand geweint. Was ist mit meinem Vati passiert? Er betrat das Haus nach fünfundzwanzig Tagen und sah uns gar nicht an und es gab keine Liebkosung. Mir sagte mein Herz ständig – er ist nicht mein Vati. So kann er gar nicht sein. Das Gefängnis hat ihn verändert. Eine merkwürdige Angst bedrückte mein Herz, als ob Vati uns vielleicht nie wieder liebkosen würde. Und wirklich; von da ab habe ich nie wieder seine Liebkosung gehabt – bis heute nicht. Konnte er gar keine einzige Zeile für uns in diesem Brief schreiben? Jetzt verstehe ich auch seine Apathie und Gleichgültigkeit, denn er will nun vielleicht mit niemandem verbunden bleiben. Was ist, wenn er wieder bestraft wird?

Am Abend gingen alle nach oben. Obwohl Vati die Tür öffnete, sprach er zu niemandem ein Wort. Sein Gesicht im Kissen vergraben, blieb er einfach liegen. Ich dachte, dass er vielleicht weinte. Aber wir wurden gebeten, gleich nach unten zu gehen. Wie sehr habe ich mich dann geärgert! Er ist unser Vati, aber sie benehmen sich so, als ob er gar nicht existiert. Ich habe ein Anrecht auf meinen Vater, und er liebt mich auch am meisten in dieser Welt. Ich nahm an, dass es am besten wäre, wenn alle bald möglichst nach Aligarh gehen würden. Erst dann würde uns Vati wieder lieben, wie früher. Vor allen ist er vielleicht schüchtern. Es ist ja auch eine Schande. In der Schule schämte ich mich nicht weniger!

Am nächsten Tag reisten Onkel Kant und Onkel Umesh wieder ab. Oma und Opa leben sowieso hier, dennoch kam Vati nicht nach unten. In der Nacht wurde Mutti gebeten, zum Schlafen nach oben zu gehen. Am Morgen, als sie aufstand und nach unten kam, sagte sie, „Mutter, bitte nimm Munnu ins Dorf mit und lass ihn dort in die Schule gehen. Hier ist es schwierig, die Kosten für seine Schule zu zahlen. Asha ist in ihrem Abschlussjahr, sonst hätten wir auch sie zu Bruder Umesh geschickt. Jetzt werden wir das untere Geschoss ausräumen.“ Keine Ahnung, was die beiden dann noch miteinander besprachen; sie weinten beide viel, sehr viel. Immer wenn ich jemanden weinen sehe, fange ich auch an zu weinen, ohne den Grund zu wissen. Aber in diesem Moment gab es einen ziemlich großen Grund zu weinen, dass Munnu weggehen würde. Wie würde er im Dorf leben? Die Schule dort ist überhaupt keine Schule! Er ging hier in eine gute Schule. Vati mag den ganzen Tag schweigend liegenbleiben, aber in dieser Sache würde er nie schweigen.

Aber Vati hat nichts gesagt. Vielleicht hatten Vati und Mutti es gemeinsam entschieden. Munnu ging endlich, nachdem er viel geweint hatte. Ja, aber als er ging, hatte Vati ihn umarmt und liebkost. Ich stand daneben. Tränen fielen von Vatis Augen. Ich hätte ihm gerne die Tränen abgewischt, nicht um seine Schmerzen zu lindern, sondern von ihm liebkost zu werden. Obwohl Munnu wegging, blieb er Vati nah. Obwohl ich dahingegen Vati physisch nah war, würde ich ihm vielleicht immer fernbleiben. Aber Vati kam nicht nach unten, um sich von ihm zu verabschieden. Niemand ging zum Bahnhof. Wer wäre überhaupt gegangen? Mutti geht nicht alleine aus; wie wäre ich zurückgekommen, wenn ich gegangen wäre?

Nach etwa einem Monat war unser Haus leer. Auch Munnu war weggegangen. Nicht nur Munnu, innerhalb einer Woche waren auch die meisten Gegenstände des Haushalts weg. Das untere Geschoß wurde sowieso geräumt. Kochen, essen, schlafen im Regenhaus. Ich bekam die aufgeräumte Kammer nebenan zum Selbststudium.

Vati hatte unterdessen angefangen, etwas zu sprechen, aber er war überhaupt nicht der Vati, den ich kannte. Er blieb den ganzen Tag entweder einfach liegen oder er las etwas. Manchmal hielt er ein Kissen auf seinem Schoß und schrieb etwas. Ich wollte oft wissen und sehen, was er schrieb, aber ich konnte es nie wagen, ihn zu fragen. Ich hatte mehrere Male gelesen, dass der echte Held jemand ist, der in schwierigen Zeiten den Mut nicht verliert. Jemand, der alle Schwierigkeiten lachend erduldet, ist der echte Mensch. Ich wollte es Vati klarmachen, aber weiß er das denn selbst nicht schon? Dann? Nur jemand, der wirklich gestohlen hätte, würde auf diese Weise sein Gesicht verbergen und die ganze Zeit liegenbleiben. Vati sollte aber ausgehen und Spaziergänge machen. Auf diese Weise aber erweist er sich nur als ein Schuldiger. Aber wie sollte ich es ihm klarmachen?

In meiner Kammer gab es sonst kein Unbehagen, außer dass bei extremer Hitze ein Ventilator fehlte. Man konnte die Nacht auf dem Dach verbringen, aber am Nachmittag waren diese Kammern auf dem Dach wie ein Ofen. Ich wusste nicht, wie ich die Ferientage verbringen konnte. Ich wollte nicht zu einer meiner Freundinnen gehen, denn ich hatte auch aufgehört, in die Nachbarschaft zu gehen. In schwierigen Zeiten erweist sich niemand als gute Freundin. Daher bestand ich darauf, alles zu ertragen, bis Sterne wieder günstig standen.

Im Juli kam Opas Brief. Er schrieb, Munnu sei in die sechste Klasse aufgenommen worden und dass er glücklich sei. Wir hatten auch alle akzeptiert, dass er glücklich sein durfte. Nur in dieser Akzeptanz lag unser Glück. Opa hatte noch geschrieben, dass er abends in einem Geschäft die Buchhaltung mache. Dafür bekäme er fünfundzwanzig Rupien, die er Vati schicken würde. Onkel Umesh würde fünfzig Rupien schicken. Vor meinen Augen begannen der alte Körper Opas, kraftlose Taille und schwache Augen, sich zu drehen. Würde er in diesem Alter nochmals arbeiten? Mutti erklärte, dass sie nun alle Kosten des Haushalts mit diesen fünfundsiebzig Rupien zu bestreiten hätte.

Ich gab den Schulbus auf. Nun ging ich die drei Meilen zu Fuß. Bei Sonne oder Regen ließ ich mir nichts anmerken. Manchmal dachte ich, Vati wurde vor zwei Jahren und drei Monaten suspendiert, wieviel Geld in dieser Zeit ausgegeben worden war, dass das Bankkonto schon leer, alle Ornamente Muttis verkauft…und keine Ahnung was sonst noch verschollen war. Vielleicht sind Rechtsanwälte große Räuber. Manchmal dachte ich, es wäre viel besser gewesen, hätte Vati wirklich das Geld seines Büros unterschlagen. Zumindest hätte er dann den Munnu bei sich und noch einen Ventilator gehabt. Es ist, als ob in dieser Schwüle die Haut gekocht wird. Die Ehrlichkeit hat gar kein Glück gebracht!

Ich weiß nicht, was mit der Mutti los war, so dass sie Tag um Tag innerlich schwächer wurde. Früher tat sie wenig, und jetzt machte sie alles mit der Hand. Auch Vati half ihr, worüber ich mich sehr freute. Damals wurde Mutti sehr reizbar. Eines Tages schlug sie mich wegen einer unbedeutenden Fehlhandlung. Sofern ich mich erinnern kann, wurde ich zum ersten Mal geschlagen, das auch in diesem Alter. Mein Herz war viel mehr verletzt als der Körper. Vielmehr als die Verletzung tat mir mein Herz deswegen weh, weil Vati sitzen blieb und nichts zur Mutti sagte. Er hat weder Mutti verboten, mich zu schlagen, noch liebkoste er mich.

Sitzend in meiner Kammer hatte ich stundenlang geweint. Oh Gott, Du magst mir alles Unglück geben, aber meinen Vati solltest Du wieder machen, wie früher. Wenn er sich wie früher verhielte, würde ich alles ertragen.

Selbst den ersten Verhörtermin gab es nach sechs Monaten. Onkel Kant hatte genug versucht, das Verhör und das Urteil zu beschleunigen, aber das Gericht hat seine eigene Geschwindigkeit. Es richtet sich nicht nach Onkel Kant. Er bezahlt die Rechtsanwälte. Bestimmt weiß seine Frau nichts davon, sonst ließe sie ihn für nichts zahlen.

Die erste Vernehmung ging sehr gut. Als wir frierend im hohen Winter diese Nachricht bekamen, ging eine sommerliche Welle von oben nach unten.

Der Zustand des Haushalts, besonders der der Mutti, verschlechterte sich allmählich. Mir fiel ein, dass sie vielleicht irgendeine Krankheit hätte, welche sie verbarg. Ich hatte in Gesundheitswissenschaften über die Krankheiten und ihre Symptome gelesen und meines Erachtens hatte sie die Symptome der Tuberkulose. Wenn sie sich im Winter erkältete, hustete sie stets für vier Monate.

Opas Brief kam. Mit großem Unbehagen schrieb er, „Bei der Buchhaltung machte ich so einen Fehler, dass ich den Job verloren habe. Nun werde ich von den fünfzig Rupien der Rente nur fünfzehn Rupien schicken können. Hab den Mut, Sohn, wenn schlechte Zeiten kommen, dann kommen sie von überall. Aber sie werden bestimmt vergehen. Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher.“

Der zweite Verhörtermin war im April, aber den nächsten Termin bekamen wir nicht schnell. Schon ein Jahr war vergangen, seitdem Vati entlassen wurde, aber es gab immer noch zwei Verhörtermine. Wenn nach so langen Zeitabständen die Vernehmung stattfände, dann würde es zumindest noch ein Jahr in Anspruch nehmen. Mein Herz bebte. Mir schien, als ob die Zeit überhaupt nicht verging. Munnu war im Dorf, Vati im Regenhaus, ich in der Kammer und Mutti auf dem Feldbett.

Ich war die Einzige, die wusste, wie ich die Schulabschlussprüfungen schrieb. Irgendwie bestand ich die Prüfung mit ausreichender Note. Niemand war da, um sich darüber zu freuen. Jede Seele in unserer Familie war so gedemütigt, dass man sich weder freute, noch traurig wurde.

Ein neues Problem tauchte im Juli auf. Denn es gab nur eine Grundschule im Dorf. Was sollte mit Munnu geschehen? Was sollte nun aus mir werden? Dass ich hier in eine Hochschule gehen sollte, kam nicht in Frage. Ich wusste, dass es schwierig war, den Kindern zwei Mahlzeiten mit fünfundsechzig Rupien zu geben, geschweige denn, sie gut zu erziehen. Opa schickte den Munnu direkt zu Onkel Umesh und benachrichtigte uns. Er wusste von der hiesigen Lage. Vati zitterte, nachdem er diesen Brief gelesen hatte, Mutti weinte sehr viel, „Ich hätte den Jungen besser ohne Bildung erzogen, warum wurde er denn dorthin geschickt? Ich hätte ihn regelmäßig gesehen. Wer kennt nicht Lilas Natur? Mein Kind würde vor Angst sterben.“ Nach zwei Tagen sagte sie, „Ich denke, wir sollten auch Asha dorthin schicken. Dort würde sie auch in die Hochschule gehen können.“ Ich konnte nicht nachvollziehen, ob Mutti es ironisch meinte, oder… aber schon der nächste Satz erklärte alles, „Du kennst doch Lilas Natur. Wenn Asha bei Munnu wäre, hätte er Trost. Zum Schlafen hätte er zumindest einen Schoß.“ Mutti selbst weinte sich die Augen aus und bat, „Bitte schreib an Bruder Umesh, dass alles, was er für uns ausgibt, als Darlehen an uns gilt. Ich werde alles zurückzahlen. Eines Tages wird Gott bestimmt auch unser Schicksal wenden, sonst werde ich mich selbst verkaufen, um alles zurückzuzahlen. Aber er sollte etwas Mitleid mit meinen Kindern haben. Diese Armen werden sowieso Waisen, auch denen sollte er ein bisschen Liebe schenken, auch der Lila sollte er es erklären.“

Onkel Kant war wegen eigener Arbeit nach Delhi gekommen. Bei der Rückkehr stieg er in Aligarh aus. Mutti schickte mich mit ihm nach Allahabad. Doch schlug er vor, „Schick sie nach Calcutta, dort könnte sie studieren.“ Aber wollte ich überhaupt zum Studium nach Allahabad gehen? Das Studium war einfach eine Nebensache. Ich hatte eigentlich Munnu zu trösten. Falls er weinen würde, sollte er in meinem Schoß weinen. An dem Tag war ich wirklich groß geworden, erwachsen wie Mutti. Aber trotz des Lobes weinte ich meine Augen aus, als ich das Haus verließ. Wegen Muttis Zustand hatte ich mehrfach die Verantwortung für den Haushalt übernommen. Was sollte aber jetzt geschehen? Wie würde Mutti in dieser Lage alles erledigen? Das tägliche Fieber hatte ihren Körper zu einem Knochenbündel gemacht. Aber Vati ist da, um Mutti zu trösten; sein Schoß ist da, falls sie weinen muss. Aber dort ist Munnu allein. Deshalb braucht Munnu mich am meisten.

Unterwegs fragte mich Onkel Kant, „Sharda hat tägliches Fieber. Hat sie einen Arzt besucht oder nicht?“ „Nein.“ Und ich fing an zu weinen. „Weine nicht, Kind, bald wird nun alles wieder gut.“ „Vati hat mehrmals gesagt, dass sie zum Arzt gehen sollte, aber Mutti hört nicht auf ihn. Sie sagt – Ärzte ängstigen unnötig.“

Onkel schwieg. Doch verstand er schon, dass Mutti deshalb nicht zum Arzt ging, weil sie kein Geld für die Behandlung und Medikamente hatte. Ärzte würden Kräftigungsmittel und Früchte empfehlen, und sie würden hinzufügen, dass sie sich ausruhen und sich freuen sollte. Wäre all dies möglich mit fünfundsechzig Rupien? Man könnte mich fragen, denn ich hatte mich um den Haushalt gekümmert. Ich könnte die einzelnen Sachen aufzählen, aber was hätte ich zu ihm gesagt! Er bezahlt die Rechtsanwälte und ich kenne doch die Kosten.

Munnu umarmte mich und fing an zu weinen, sobald er mich sah. Auch ich weinte mit ihm. Tante hatte bestimmt etwas gesagt, aber wir konnten sie nicht hören. Wie ich mich fühlte, nachdem ich Munnu umarmt hatte, kann ich nicht ausdrücken. Doch hatte ich verstanden, dass er wirklich einen Schoß brauchte, also auf jeden Fall eine Unterstützung. Ich sprach mit der Tante. Doch war es klar, dass mein Kommen ihr nicht gefiel. Aber ich kam hierher nicht aus eigenem Willen. Munnus Hautfarbe hatte sich verändert, sein Gesicht war verwelkt und seine Augen sahen ängstlich aus. Mir schien es, als ob er hier vielleicht bedrückt und voller Angst lebte. Wie frech benahm er sich zu Hause! So ein kleines Kind, wie musste er sich verändert haben, sich bedrücken lassen? Ich sah, dass es seine Aufgabe war, den ein Jahr alten Bittu zu füttern. Den ganzen Tag trug er ihn herum. Wann durfte er denn lernen und seine Hausaufgaben machen?

Als er in der Nacht zu mir zum Schlafen kam, sagte er leise zu mir, „Schwester, gib mir morgen Zuckerwatte zu essen. Tillu und Pumpy bekommen sie jeden Tag. Tante gibt ihnen Geld und sagt, dass sie die Zuckerwatte im Verborgenen essen sollen. Aber sie essen vor mir. Eines Tages neckte er mich und aß, also schnappte ich seine Zuckerwatte. Er beschwerte sich bei der Tante und sie schlug mich hart. Tante schlägt heftig.“ Und er fing an zu schluchzen. Ich liebkoste ihn und sagte, „Ich werde meinem Bruder bestimmt Zuckerwatte bringen.“ Aber mein Herz bebte innerlich. Ich bin älter, ich verstehe alles und kann alles ertragen; wie soll aber dieser Arme verstehen! Er wird es wohl verstanden haben, aber wie kann er es ertragen?

Schon in der ersten Nacht fasste ich den Entschluss – Ich würde hier nicht in die Hochschule gehen. Ich würde die ganze Haushaltsarbeit machen, so dass Tante die ganze Zeit frei haben und sich gar nicht ärgern müsste. Egal was Tante zu mir sagen würde, würde ich darauf gar nicht reagieren. Wäre sie glücklich, so wäre Munnu sicher. In der Nacht würde ich Munnu Nachhilfe geben.

Lange bevor Tante aufstand, bereitete ich den Tee zu. Dann bereitete ich rasch Tillu und Pumpy für die Schule vor und dann schickte ich alle drei Kinder mit ihrem Frühstück in die Schule. Tante kam einmal wahrscheinlich, um das Frühstück zu kontrollieren. Vielleicht glaubte sie, dass ich Munnu etwas mehr oder Besseres zu geben wagte. Onkel lobte mich, „Du bist sehr fleißig, du kannst so viel erledigen.“ Tante reagierte sofort drauf, „Als ich in ihrem Alter war, kümmerte ich mich um den Haushalt von einem Dutzend Mitgliedern. Ich bereitete ein leckeres Gericht von Papad-Mangauri von zwanzig Kilo zu.“ Aber ich schwieg. Beide Mahlzeiten waren meine Verantwortung.

Wenn ich anfangs in der Nacht schlafen ging, hatte ich heiße Füße. Manchmal bat ich Munnu, auf meinen Füßen zu stehen. Das tat meinen Füßen gut, aber was ist mit dem Herz? Immer wenn Mutti mir die Haushaltsarbeit gab, tadelte Vati, „Ich werde aus meiner Asha eine Ärztin machen, sie ins Ausland schicken. Durch diese Küchenarbeit möchte ich nicht das Leben meiner Tochter zerstören.“ Dieser eine Satz schwamm in der Luft, wanderte im Zimmer umher und hallte ständig wider. Als ich mich allmählich daran gewöhnte, hörten die Schmerzen meiner Füße auf und gab mein Herz auch auf, etwas zu empfinden.

Ich schrieb der Mutti nicht, dass ich mich in der Hochschule nicht eingeschrieben hatte. Tante hatte mir vier Postkarten gegeben und erklärt, dass ich jeden Monat nur so viele bekommen würde. Darauf schrieb ich, wie es mir ging, das war alles.

Ich konnte die Wut meiner Tante eindämmen, indem ich Tag und Nacht arbeitete. Weil sie sich genug ausruhen konnte, freute sie sich über meine Präsenz. Dennoch hob sie ab und zu ihre Hand, um ihre Kinder zu schlagen, auch noch den Munnu. Ihre Kinder kannten ihre Gewohnheit, deshalb lachten sie, obwohl sie geschlagen wurden, und dann flohen sie. Außerdem wurden sie geliebkost, wenn immer sie geschlagen wurden. Aber der Munnu wurde immer geängstigt und er schluchzte leise. Mit kläglichen Augen sah er mich an. Aber trotz meiner innerlichen Schmerzen reagierte ich bei diesen Gelegenheiten überhaupt nicht. Ich dachte oft, dass der Munnu nach dieser ständigen Schlägerei entweder ziemlich launisch oder idiotisch werden würde. Vati und Mutti haben die Hand nie gehoben. Ich liebkoste ihn, wenn immer wir zu zweit waren. Ich erklärte ihm, „Nur noch einige Tage, Bruder, dann gehen wir nach Hause.“ Aber mein Herz tat am meistens weh, immer wenn Tante aus Wut sagte, „Im Büro hat er zwanzig tausend untergeschlagen und nun zockt er uns ab. Er ist älter als wir, aber solches Älter-sein ist eine Schande!“ Ich fragte mich, ob Tante wirklich glaubte, dass Vati Geld untergeschlagen hatte. Hätte er uns in dieser Lage verlassen, wenn er jetzt wirklich Geld gehabt hätte? Und dann drehten sich all die letzten Tage vor meinen Augen. Wieviel liebte uns Vati…wieviel! Egal was ich ihm schreibe, weiß er bestimmt, wie es uns hier ergeht.

Am 31. des Monats überreichte Onkel Tante sein Gehalt, woraufhin die Tante sagte, „Schreib deinem älteren Bruder, dass wir nun fünfzig Rupien nicht mehr schicken können. In dieser Zeit der Inflation ist es schon schwierig, zwei Kinder zu erziehen, außerdem haben wir auch noch unsere eigenen Kinder. Auch hier gibt es keinen Wohlstand.“ Das war richtig so, aber dennoch bebte mein Herz. Was würde geschehen, wenn Onkel kein Geld schicken würde? Was könnte man mit fünfzehn Rupien im Monat machen? Das wäre alleine genug für die Miete.

Die ganze Nacht träumte ich von der weinenden Mutti und dem wimmernden Vati. Auch ich weinte sehr viel mit ihnen.

Viele Tage lang kam kein Brief von der Mutti. Die ganze Zeit machte ich mir nur Sorgen darum, woher Mutti Geld nehmen würde! Auch vom Onkel Kant kam gar kein Brief. Keine Ahnung, was denn dort los sein könnte.

Der ganze August ist vergangen. Ich hatte alle vier Postkarten geschickt, aber gar keine Antwort kam. Was ist denn los mit Mutti, warum schreibt sie nicht? Im September kam der Brief vom Onkel Kant. Er schrieb, „Sharda ging es nicht gut, deshalb habe ich sie hierhergebracht. Ihre Behandlung findet hier statt. Herr Dinesh ist umgezogen, seine neue Addresse ist …. Was kann ich außerdem mitteilen? Wir bekommen keinen baldigen Verhörtermin. Der dritte Verhörtermin ist am Ende dieses Monats. Ich werde an dem Tag hingehen. Mach dir keine Sorgen. Gott wird alles wieder gut machen. Bis zum Sommer wird bestimmt etwas geschehen.“

Ist also Vati allein geblieben? Mutti und ihr Schoß sind auch verloren gegangen, wo er weinen konnte. Diese Adresse von Vati? Ich kannte mich recht gut mit Aligarh aus. Dieses ist ein Arbeiterviertel. Dunkle, schlammige Gassen… offene Entwässerung. Wer würde für Vati kochen? Er tat nie solche Arbeit. Auch wenn er den Ofen anzündete, stoppte ihn Mutti. Dann sagte er, „Sharda, wer weiß, vielleicht würde ich diesmal entlassen werden. Falls ich aber bestraft werde, dann weiß ich nicht, was ich alles noch werde machen müssen.“

Dann unterbrach Mutti und tadelte ihn, „Warum sagst du überhaupt solche Sachen? Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher.“ Diesen Satz hatte Mutti vom Opa gelernt, auswendig wie ein Mantra.

Und ich betete Gott ständig an, dass Vati nicht bestraft werden möge. Er sollte für seine Buße belohnt werden. Ist das, was er alles erträgt, weniger wert als eine Buße? Sein Gesicht versteckend in einer dunklen, modrigen Kammer zu leben! Kinder und Frau, alle weg von ihm, an verschiedenen Orten zu haben… Hab jetzt etwas Erbarmen. Bestraf ihn jetzt nicht!

Munnu und Tillu kamen beide mit ihren Zeugnissen. Tillu bestand in allen Fächern, aber Munnu fiel in einem Fach durch, dennoch wurde er in die nächste Klasse versetzt. Onkel liebkoste Tillu, aber Munnu stand daneben und starrte sie mit Tränen in seinen Augen an. Tante sagte, „Du bist durchgefallen, nicht wahr? Lern fleißig, lieber Munnu, nur dann wirst du bestehen, wie Tillu. Man besteht nicht, wenn man den ganzen Tag Tränen vergießt.“ Die Tränen seiner Augen fielen auf seine Wangen. Er wischte die Tränen mit dem Ärmel seines Hemdes ab und wollte ins Zimmer gehen. In dem Moment neckte ihn Tillu, „Verlierer…Verlierer!“ Zum ersten Mal war es an dem Tag schwierig, mich zu zügeln. Ich wollte schreien, ‚Kaum bekommt er Zeit. Den ganzen Tag füttert er den Bittu. Zweimal muss er zum Markt gehen.‘ Aber ich schwieg.

Beim Fortgehen sah Munnu den Tillu einmal neckend mit brennenden Augen an. Es schien, als ob er ihn schlagen würde, aber er kam weder zurück, noch sagte er etwas. Wie ist denn Munnu so tolerant geworden? Ich war diejenige, die ihm das Schweigen beibrachte. Aber nun, wenn er alles so akzeptierte, tat es mir am meisten weh. Einen Ausweg gab es natürlich nicht.

Munnu hatte Ferien. Ich wünschte, dass entweder Mutti oder Onkel Kant uns einladen würden, sie zu besuchen, aber niemand schrieb. Vati schrieb sowieso nichts, ab und zu schrieb Mutti zwei Zeilen: „Allmählich geht es mir besser. Macht euch keine Sorgen. Liebe Grüße an Lila und die Kinder alles Liebe. Hilf der Tante, stör sie nicht.“ Jedes Mal schien es mir, dass Mutti den Brief voller Lügen schrieb.

Unsere Geduld hatte sich über ein Jahr erstreckt. Letztes Jahr fand die Vernehmung im März statt und jetzt ist April dieses Jahres.

Nun schien es mir, als ob wir lebenslang auf diese Weise leben würden, nur auf diese Weise. Nun würde ich nie in die Hochschule gehen. Munnu würde jedes Jahr in einem Fach durchfallen und irgendwie in die nächste Klasse versetzt werden. Mutti würde vielleicht immer krank bleiben und sich beim Onkel zur Behandlung aufhalten. Vati würde auch in seiner schlamigen, stinkenden Kammer selbst seine Mahlzeiten zubereiten…

Und dann kam heute Vatis erster Brief. Ich sah ihn tausendmal, las und berührte ihn, als ob ich dadurch eine Ahnung von Vatis Lage bekommen würde.

Vati wollte nicht, dass wir kommen. Würde Onkel Umesh uns mitnehmen, wenn wir ihn darum bitten? Aber egal was passiert, wir werden diesmal bestimmt hingehen. Soll ich Onkel Kant schreiben, vielleicht wird er uns mitnehmen?

Morgen um zehn Uhr fällt das Urteil. Wir sind beide mit Onkel Kant gekommen. Er ließ uns in der Herberge zurück und ging, um Mutti abzuholen. Ich hatte sehr darauf gehofft, dass sie kommen würde, aber sie kam nicht. Onkel Kant sagte einfach, „Ihre Lage war nicht derart, dass sie kommen konnte. Ihr solltet zu ihr gehen, nachdem das Urteil gefällt ist.“ Ich weiß nicht, in welcher Lage Mutti ist. Mein Herz bebte immer wieder. Onkel Kant verrät uns etwas nicht. Auch ich hatte ihr vieles nicht verraten. Wer weiß in diesen Tagen Genaues über die andere Person? Alle tragen eigene Leiden, um es den anderen zu erleichtern.

Als Vati kam, umarmten ihn sofort Munnu und ich. Vati! Vielleicht nahm auch Vati uns ebenso wahr. Wie viele Tränen vergossen wir drei! Auch Onkel Kant fing an zu weinen.

Auch Oma und Opa kamen am Abend. In der Nacht fragte Munnu die Oma, „Oma, nun werden wir bei Vati bleiben, nicht wahr? Du betest so viel, sag zu deinem Gott, dass er unseren Vati entlassen soll.“

„Ja, Kind, nun wirst du sicher bei deinem Vati wohnen. Tag und Nacht wünsche ich mir nur dies vom Gott.“

„Nun werde ich nie zur Tante gehen. Für wen hält sich der Tullu? Wenn ich bei meinem Vati bin, dann kann er kommen. Ich bin ihm auf jedem Gebiet überlegen – sei es beim Lernen oder Ringen. Früher bekam ich einmal in meiner Klasse die besten Noten …. Was sagst du, Schwester, hab‘ ich das nicht?“

Meine Augen wurden feucht. Nach langer Zeit sah ich den Munnu in seiner wirklichen Art. Als Tillu ihn geneckt hatte, sagte er nichts zu ihm. Er hatte schweigend im Zimmer viel geweint. Vielleicht wusste er, dass die Tante ihn schlagen würde, wenn er etwas zu Tillu sagen würde. Aber wie übel hatte ich mich an dem Tag gefühlt. Wohin war Munnus kindlicher Neid und Wettbewerbssinn verschwunden! Sind wir in solchem frühen Alter dazu bestimmt, alles zu ertragen?

Munnu schlief auf Omas Feldbett ein. Ich konnte gar nicht schlafen. Morgen fällt das Urteil – das Urteil über unser Schicksal. Onkel Kant scheint sehr sicher, aber Vatis Gesichtszügen ist nichts zu entnehmen.

Das Urteil wurde verkündet. Auch ich ging zum Gericht. Niemand stoppte mich diesmal. Dort gab es kein Gedränge. Wer hätte sich denn außer den Familienmitgliedern für Vati interessiert? Vati stand im Zeugenstand. Wir saßen auf dem Stuhl und warteten auf das Kommen des Richters. Als der Richter kam, schloss Opa seine Augen. Omas Kopf sank. Sie wird schweigend gebetet haben. Ich hielt kräftig die Hand von Munnu und saß. Mir kam es vor, als ob meine Atemzüge stoppen würden, falls es noch länger dauern würde.

Alles, was der Richter in der Sprache des Gesetzes sprach, verstand ich nicht, aber den letzten Satz habe ich vollkommen verstanden: „Der Angeklagte wird freigesprochen…“ Ich warf Munnus Hand in die Luft und schrie plötzlich: „Munnu, Vati ist frei, er ist frei!“ Aber plötzlich fingen Oma und Opa an, sich die Augen aus zu weinen. Ich zitterte vor Angst und fragte mich, ob ich etwas Falsches gehört hatte. Sie traten auch ein letztes Mal genauso weinend vor das Haus. Aber der berühmte Satz Opas: „Hatte ich nicht gesagt, Sohn, dass Gottes Mühlen langsam mahlen, aber sie mahlen sicher…!“

Aber was ist mit Vati los? Warum freut er sich nicht? Warum hellen sich seine eingesunkenen, leblosen Augen vor Freude nicht auf? Er sieht Opa mit seinen steinernen Augen an, als ob er Opas Aussage gar nicht versteht.

Ich rannte zu Vati und klammerte mich an ihn: „Vati, du bist freigesprochen worden! Hörst du, du hast keine Strafe bekommen…du bist nicht bestraft worden!“ Aber dennoch blieb Vati immer noch so, als ob es gar nicht glauben konnte, dass er nicht bestraft wurde.