बालक

Alle Leute bezeichnen Gangu als Brahmanen. Er hält sich selbst für einen Brahmanen. Meine Freunde und meine Diener verneigen sich vor mir. Gangu verneigt sich niemals vor mir. Vielleicht erwartet er, dass ich mich vor ihm verneige. Er rührt niemals das Glas an, das ich gebraucht habe. Ich habe niemals den Mut gehabt, von ihm zu verlangen, dass er mir fächelt. Aber wenn das Wetter heiß ist und ich von Schweiß triefe und niemand sonst da ist, nimmt Gangu von selbst einen Fächer zur Hand. Aber seine Haltung ist dann so, als ob er mir eine Gefälligkeit erweise. Dann reiße ich ihm den Fächer aus der Hand. Er ist jähzornig, und er kann es nicht ertragen, dass man über ihn spricht. Er hat sehr wenige Freunde. Er erachtet es unter seiner Würde, mit den Dienern zusammen zu sitzen. Niemals habe ich gesehen, dass er mit jemandem freundlich tat. Er betet niemals, und nie geht er in den Fluss zu baden. Am erstaunlichsten ist, dass er Bhang nicht mag, ein weitverbreitetes Laster von Menschen seiner Klasse. Er ist ganz ungebildet. Trotzdem erwartet er alle Achtung, die einem Brahmanen zusteht. Warum auch nicht? Wenn die Leute stolz sind, weil ihnen Reichtum von ihren Vorfahren hinterlassen wurde, warum soll Gangu nicht gleichfalls Achtung wegen seiner Abstammung erwarten ? Das ist sein einziger Besitz.

Ich spreche mit meinem Dienern sehr wenig. Ich habe meinen Diener befohlen, nicht in meine Abgeschiedenheit einzudringen, es sei denn, ich habe sie gerufen. Ich ziehe es vor, kleine Dinge selbst zu tun, wie ein Glas Wasser zu holen, die Schuhe anzuziehen, die Lampe anzuzünden oder ein Buch aus dem Regal zu nehmen. Das ist mir angenehmer, als die Diener zu rufen. Das gibt mir das Gefühl von Unabhängigkeit und Selbstvertrauen. Die Diener stören mich selten, weil sie nun meine Gewohnheit kennen. Darum fühlte ich mich belästigt, als Gangu eines Morgens kam, obwohl ich ihn nicht gerufen hatte. Wenn diese Diener kommen, wollen sie entweder einen Vorschuss auf ihr Gehalt oder sich über einen anderen Diener beklagen. Beides betrachte ich als lästig. Weil ich sie sehr regelmäßig am ersten des Monats bezahle, sehe ich keinen Grund, warum sie mit ihrem Monatslohn schon in vierzehn Tagen zu Ende sind. Verleumden und sich beklagen halte ich für eine Form von Schwäche und unwürdig.

Ich fragte Gangu gereizt, warum er gekommen sei.

Ich war überrascht, heute in Gangus Gesicht einen Ausdruck von Demut und Schüchternheit zu finden.

Ich hatte den Eindruck, dass er etwas sagen wollte. Aber trotz seiner Bemühungen fand er keine Worte.

Nach einer Weile fragte ich freundlicher: “Was ist los? Warum sprichst du nicht? Du weisst, dass ich um diese Zeit einen Spaziergang mache, und es ist schon spät.”

Gangu entgegnete enttäuscht und zögernd: “Gut, gehen Sie jetzt, bitte. Ich werde ein andermal kommen.”

Das war noch ärger. Nun, weil ich in Eile war, hätte Gangu seine Geschichte kurz gemacht. Wenn er jedoch später kam und meinte, ich habe dann Zeit, würde er mich stundenlang aufhalten. Er glaubt, ich sei nur beschäftigt, wenn ich lese oder schreibe. Wenn er mich jedoch allein in einer nachdenklichen Stimmungantrifft, meint er, dass ich faulenze.

Ich wollte ihn gleich jetzt loswerden und sagte ohne Mitleid: “Wenn du wegen Vorschuss gekommen bist, dann kannst du versichert sein, dass du keinen bekommst.”

“Ich will keinen Vorschuss haben,” sagte er, “ich habe niemals einen verlangt."

“ Dann willst du dich über jemanden beklagen? ” sagte ich, “ du weißt, wie ich Verleumdungen hasse.”

“Nein, ich habe mich niemals über irgendeinen andern beklagt,” sagte Gangu.

Ich fragte ungeduldig: “Was kommst du dann und störst mich? ” Gangu machte einen weiteren Versuch, sein Geheimnis zu enthüllen. Ich konnte es von seinem Gesicht ablesen, dass er versuchte, all seinen Mut zusammenzunehmen. Schließlich sagte er: “ Ich möchte meiner Pflichten entbunden werden. Ich kann nicht mehr Ihr Diener sein."

Dies war die erste Bitte dieser Art, und ich fühlte mich verletzt. Ich betrachte mich als ein Muster an Menschlichkeit, schimpfe nicht mit meinen Dienern und versuche, mich immer zu beherrschen. Wie sollte ich nicht betroffen sein, dass ein Diener mir kündigt ? “ Warum willst du gehen ? ” erkundigte ich mich.

“ Sie sind die Verkörperung von Güte. Aber ich bin in einer Lage, dass ich nicht bei Ihnen bleiben kann. Ich will nicht, dass meinetwegen die Leute mit Fingern auf Sie zeigen,” sagte Gangu.

Dies war äußerst aufregend. Ich vergaß meinen Morgenspaziergang, nahm Platz und sagte: “Warum sprichst du in Rätseln? Sag klar, was du auf dem Herzen hast!”

Gangu erwiderte zögernd : “Die Sache ist, diese Frau, die gerade aus dem Witwenheim fortgeschickt worden ist, diese Gomathi Devi......" Er verstummte.

Ungeduldig fragte ich: “Was hat sie mit deiner Arbeit zu tun?”

“ Ich möchte sie heiraten”, sagte Gangu, als entledigte er sich mit diesem Geständnis einer großen Last.

Ich starrte ihn fassungslos an. Wie hatte sich dieser altväterliche Brahmane, der von der modernen Zivilisation noch nicht berührt schien, dazu entschließen können, eine Frau zu heiraten, die kein Mensch mit Selbstachtung in der Nähe seines Hauses dulden wird ? Gomathi hatte in der beschaulichen Atmosphäre unsres Mohalla eine gewaltige Aufregung ausgelöst. Sie war vor einigen Jahren ins Witwenheim gezogen. Die Heimleitung hatte sie dreimal verheiratet, aber jedes Mal war sie nach spätestens einem Monat zurückgekehrt.

Endlich hatte das Heim beschlossen, sie auszuweisen. Sie hatte nun im Mohalla ein Zimmer gemietet. Jetzt war sie ein Gegenstand des Vergnügens für die liebeshungrigen jungen Männer geworden.

Ich war gleichermaßen ärgerlich wie von Bedauern für Gangu erfüllt. Warum kann dieser Esel nicht eine andere Frau zum Heiraten finden? fragte ich mich. Wenn sie schon dreimal ihren Männern davongelaufen ist, wie lange wird sie bei Gangu bleiben ? Wenn er mehr Geld gehabt hätte, würde sie vielleicht sechs Monate mit ihm bleiben. Aber unter diesen Umständen war ich sicher, dass diese Ehe nicht länger als ein paar Tage dauern wird.

“ Ist dir ihre Vergangenheit bekannt? ” fragte ich ihn.

Das sind alles Lügen ”, sagte er mit großer Überzeugung. “Die Leute haben ihr wegen nichts und wieder nichts einen schlechten Ruf angehängt.”

„Was für ein Unsinn! ” sagte ich, “ kannst du leugnen, dass sie drei Männern davongelaufen ist? ”

“ Was hätte sie sonst tun können ? " erwiderte Gangu unerschüttert, " wenn diese Leute sie fortgejagt haben? ”

“Was für ein Narr du bist!” sagte ich, “kannst du wirklich glauben, dass ein Mann alle die Anstrengungen auf sich nimmt, eine Frau zu heiraten, und tausend von Rupees für die Hochzeit ausgibt, nur um sie nach ein paar Tagen davonzujagen ? ”

Gangu antwortete mit Eifer: “Wo es keine Liebe gibt, kann man nicht erwarten, dass eine Frau ausharrt. Eine Frau will nicht bloß Behausung und Verpflegung. Diese Leute, die sie heirateten, glaubten, dass sie ihr eine große Gefälligkeit erwiesen, indem sie eine Witwe zur Frau nahmen. Sie waren überzeugt, dass sie alles für sie getan haben und dass sie ihnen nun mit Körper und Seele gehöre. Um jemanden zu gewinnen, muss man zuerst sich selbst vergessen. Außerdem ist sie krank, sie fängt an, Unsinn zu reden, und wird bewusstlos. Die Leute sagen, dass sie behext ist. Manchmal blinzelt sie und fällt in Ohnmacht.”

“ Und willst du solch eine Frau heiraten? " fragte ich. “ Bist du dir nicht im Klaren, dass du damit nur Schwierigkeiten auf dich herabbeschwörst?"

Gangu entgegnete im Ton eines Märtyrers: “ Wenn Gott will, werde ich etwas aus ihr machen, wenn ich sie bekomme, und auch mein Leben wird besser."

“ Dann hast du dich endgültig entschlossen?” erkundigte ich mich.

“ Ja", antwortete er.

“Schön ”, sagte ich, “ich nehme deine Kündigung an."

Ich halte nichts von alten Gebräuchen und bedeutungslosen Traditionen. In diesem Fall hielt ich es für entschieden gefährlich, einen Mann im Haus zu behalten, der die Absicht hatte, eine Frau mit zweifelhaftem Ruf zu heiraten. Das kann zu allerlei Schwierigkeiten führen. Die Polizei kann kommen, man hat Ärger mit Diebstahl und Gerichtsverhandlungen.

Besser, man vermeidet das alles. Wenn er diese Frau heiratete, handelte er meiner Meinung nach wie ein Verhungernder. Dass das Stück Brot trocken und geschmacklos war, war für ihn unwichtig. Ich hielt es für weise, mich fernzuhalten.

Fünf Monate waren vergangen. Gangu hatte Gomathi geheiratet und lebte in demselben Mohalla in einer Hütte, die mit Blättern bedeckt war. Er verdiente sein Leben nun als Hausierer. Jedes Mal, wenn ich ihn unterwegs traf, erkundigte ich mich nach seinem Wohlergehen. Sein Leben war nun eine Sache, die mich sehr interessierte. Das war nicht nur ein gesellschaftliches, sondern auch ein psychologisches Experiment.

Ich war neugierig zu erfahren, wie alles enden werde. Ich traf ihn stets glücklich an. Sein Gesicht hatte jenes Leuchten, das nur entsteht, wenn man überhaupt keine Sorgen hat. Er verdiente ungefähr eine Rupee am Tag. Wenn er davon seinen Warenvorrat gekauft hatte, blieben ihm gewöhnlich ungefähr zehn Annas . In diesen zehn Annas musste eine überirdische Kraft stecken, um ihm solch eine vollkommene Zufriedenheit zu verleihen.

Eines Tages hörte ich, dass Gomathi davongelaufen war.

Ich weiß nicht warum, aber es bereitete mir eine merkwürdige Genugtuung.

Vielleicht war es deshalb, weil das Selbstvertrauen und die rasche Entschlusskraft Gangus mich stets mit Neid erfüllt hatten. Ich hatte erwartet, dass sich etwas Schändliches in Gangus Leben ereignen würde. Ich war nun glücklich, dass ich schließlich Recht behalten hatte.

Er wird nun begreifen, dass jene Leute, die ihm von seiner Heirat mit Gomathi abgeraten hatten, ihm wirklich wohlgesinnt waren. Damals glaubte er, eine seltene Kostbarkeit zu gewinnen, ihm schien sich der Himmel zu öffnen. Alle Leute hatten ihm gesagt, dass man dieser Frau nicht trauen konnte. Welch ein Narr war er, dachte ich bei mir, zu glauben, dass es ein Glücksfall gewesen sei, Gomathi zu heiraten, und zu denken, dass er das Paradies auf Erden haben werde. Ich konnte es kaum erwarten, ihm wieder zu begegnen.

Als ich ihn an diesem Nachmittag sah, machte er einen gebrochenen Eindruck. Als er mich erblickte, begann er zu weinen und sagte: “Babuji , Gomathi hat mich verlassen.” Ich entgegnete mit gespieltem Mitgefühl: “Ich habe dir von allem Anfang an gesagt, dass du dich von ihr fernhalten sollst, aber du hast nicht auf mich gehört. Hat sie auch deine Sachen mitgenommen?”

Gangu legte seine Hand aufs Herz, als hätte ich eine Gotteslästerung begangen, und sagte :

“Sagen Sie das nicht, Babuji, sie hat nichts mitgenommen. Auch ihre eigenen Sachen liegen noch da. Ich weiß nicht, welche Mängel sie bei mir entdeckte, dass sie sich entschlossen hat, fortzugehen. Sicher war ich für sie nicht gut genug. Sie ist gebildet, und ich bin vollkommen ungebildet. Obwohl ich nur kurz mit ihr gelebt habe, hat sie einen Mann aus mir gemacht.

Sie war für mich eine Göttin, aber nicht für andere Männer. Ich muss irgendwie einen Fehler begangen haben, dass sie beschloss, mich zu verlassen.”

Gangus Worte enttäuschten mich sehr. Ich war darauf gefasst gewesen, dass er mir eine Geschichte von der Untreue Gomathis erzählen würde und dass ich dann Mitgefühl für ihn zeigen musste. Aber es schien, dass dieser Narr immer noch blind war.

Ich sagte halb im Scherz: “Sie hat also nichts aus dem Haus mitgenommen?”

“Nein, nicht das geringste”

“Und sie liebte dich sehr?”

“Was soll ich noch sagen, Babuji? Ich werde sie bis an meinen Tod nicht vergessen.”

“Und trotzdem entschloss sie sich, dich zu verlassen?"

“Das ist es, was mich wundert.”

Dann geh doch und finde sie, wenn du noch an ihr hängst.”

“Ja, Babuji, ich werde keine Ruhe haben, bis ich sie gefunden habe.

Ich bin gewiss, dass sie zu mir zurückkommen wird. Ich muss gehen, sie zu suchen. Ich werde Sie besuchen, wenn ich mit ihr zurückkehre,”

Mit diesen Worten entfernte er sich.

Ich musste bald darauf nach Nainital fahren und kehrte erst nach einem Monat zurück. Ich hatte meine Kleider noch nicht abgelegt, als ich Gangu mit einem neugeborenen Kind sah. Er schien vor Freude zu bersten. Nanda konnte kein solches Glück empfunden haben, als ihm Krishna anvertraut wurde. Gangus Gesicht leuchtete wie das eines hungrigen Bettlers nach einem üppigen Mahl.

Wieder fragte ich ihn im Scherz: “Hast du irgendwelche Nachrichten über Gomathi Devi?"

Gangu sagte, vor Freude strahlend: “Ich habe sie endlich gefunden, Babuji; sie war in der Frauenklinik in Lucknow.

Sie hatte einer Freundin hier gesagt, dass sie mir ihren Aufenthaltsort nur mitteilen sollte, wenn ich sehr verzweifelt war. Sobald ich das gehört hatte, fuhr ich nach Lucknow und brachte sie zurück. Ich habe auch dieses Kind bekommen.”

Er zeigte mir das Kind fast mit dem Stolz eines Athleten, der mit einer neugewonnenen Siegesmedaille prunkt. Ich war über seine Schamlosigkeit erstaunt. Er war noch erst sechs Monate mit Gomathi verheiratet, und trotzdem zeigte er das Kind mit grossem Stolz herum.

Ich sagte höhnisch: “Ach, nun hast du auch einen Sohn bekommen. Vielleicht ist Gomathi deshalb davongelaufen. Bist du sicher, dass es dein Kind ist?”

“Warum mein, Babuji? Es ist von Gott.”

“Es wurde in Lucknow geboren, nicht wahr?”

“Ja, Babuji, es ist einen Monat alt.”

“Wie lange bist du nun verheiratet?”

“Das ist der siebente Monat.”

“Dieses Kind wurde also innerhalb von sechs Monaten nach deiner Hochzeit geboren?”

“Ja, Babuji.”

“Du bist wohl nicht bei Troste”, sagte ich. Ich war nicht ganz sicher, ob er, was ich andeuten wollte, nicht begriff oder ob er absichtlich nicht verstehen wollte.

„Sie hatte eine schwere Zeit”, sagte Gangu im gleichen Tonfall.

“Es ist beinahe ein neues Leben für sie, Babuji, drei Tage und Nächte lag sie in den Wehen. Oh, es war unerträglich.

” Ich unterbrach ihn: sechs Monate nach der Hochzeit geboren wird.”

“Zum ersten Mal höre ich, dass ein Kind sechs Monate nach der Hochzeit geboren wird.”

Dieses Problem überraschte Gangu nicht. Mit einem koboldartigen Lächeln sagte er: “Das hat mich niemals bekümmert. Vielleicht ist deshalb Gomathi fortgegangen. Ich sagte ihr aber, dass sie mich nur verlassen darf, wenn sie mich nicht mehr liebt, und dass ich sie nie mehr belästigen werde.

Darum, wenn sie mich liebt, darf dieses Kind uns nicht trennen. Ich werde es wie mein eigenes lieben. Man Wirft die Frucht nicht weg, wenn man einen Acker nimmt, auch wenn ein anderer gesät hat.”

Er ließ ein herzhaftes Lachen ertönen.

Ich war von den Gefühlen Gangus tief berührt. Er kam mir wie ein großer Narr vor. Ich streckte meine Hände aus, nahm das Kind und küsste es.

Gangu sagte: “Babuji, Sie sind die Verkörperung von Güte. Ich spreche oft über Sie mit Gomathi. Ich habe sie oft gebeten zu kommen, um Sie zu treffen. Aber sie kommt nicht, weil sie sehr schüchtern ist.”

Ich bin die Verkörperung von Güte ! Das ist falsch. Ich stehe beschämt vor Gangus Mut und Aufrichtigkeit.

Meine Ansichten waren kleinbürgerlich, das verstehe ich heute.

“Du bist die Verkörperung von Güte”, sagte ich, “dieses Kind ist dafür ein Beweis.

Ich werde mit dir kommen, um Gomathi zu treffen.” Und wir beide gingen zu Gangus Haus.